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Digitalisierung in der Herstellung von Individualschmuck – Segen oder Fluch?

Die Welt ist im digitalen Wandel. Herkömmliche Herangehensweisen in der gesamten Industrie werden mit den Möglichkeiten der digitalen Technologien neu gedacht.

Die Welt ist im digitalen Wandel. Herkömmliche Herangehensweisen in der gesamten Industrie werden mit den Möglichkeiten der digitalen Technologien neu gedacht. Nicht immer bringt der Wandel Verbesserungen. Ist die Digitalisierung Segen oder Fluch für bestehende oder neue Geschäftsmodelle?

Ab den 1950er Jahren wurde der Computer als Hilfsmittel für die Konstruktion von Maschinenteilen oder Industrieanlagen verwendet. Die damaligen Systeme waren kostenintensiv und nur für marktführende Unternehmen zugänglich. 70 Jahre später zeichnet jedes kleine Kind auf einem digitalen Gerät und erstellt binnen weniger Klicks meisterhafte „Digitalkunst“. Mit Computer Aided Design (CAD) ist das Digitale längst auch in der Schmuckproduktion angekommen.

Grundkenntnisse im CAD-Zeichnen reichen für die Konstruktion von einfachen Geometrien aus und schmälern den Aufwand für deren Herstellung. Meist besteht Schmuck jedoch aus komplexen Geometrien. Für ein eigenständiges, zeitgemässes Design reicht es nicht aus, Grundkörper zu kombinieren. Daher wird die Konstruktion von komplexen Stücken mittels CAD zunehmend anspruchsvoller. Die folgende Unterteilung von CAD-Ansätzen gibt einen Einblick in die Möglichkeiten der Digitalisierung:

Vollständige Modellierung

Das ganze Stück wird von Grund auf in einem geeigneten CAD-Programm modelliert.

  • Vorteile: 100 Prozent individuell, volle Kontrolle über das Design
  • Nachteile: hoher Initialaufwand wegen Designfindung und technischer Dimensionierung, Änderungen sind mit grossem Aufwand verbunden, setzt viel CAD-Erfahrung voraus
Teil-Modellierung

Einzelne Elemente werden aus verschiedenen Bibliotheken oder CAD-Tools zusammengewürfelt und anschliessend in einem CAD-Programm angepasst.

Vorteile: grosser Zeitgewinn, hohe Flexibilität

Nachteile: Setzt eine hohe Kenntnis verschiedener CAD-Software voraus, eingeschränkte Kontrolle über das Design

Konfigurator (Parametrische Modelle)

Schmuckstücke werden auf einem Konfigurator mit wenigen Klicks zusammengestellt.

  • Vorteile: kein Zeitaufwand für die Modellierung, direkte Kostenübersicht, keine CAD-Kenntnisse notwendig, Hilfsmittel für Verkaufsgespräche
  • Nachteile: eingeschränkte Änderungsmöglichkeiten, Designabhängigkeit vom Hersteller
CAM – Computer Aided Manufacturing

Vom Bildschirm direkt auf eine Maschine in die Wirklichkeit. So lautet die Idee, den Computer als Hilfsmittel für die Herstellung von Gegenständen zu verwenden.

Im Schmuckbereich gibt es drei grundlegende Arbeitsabläufe (Workflows) für die Verarbeitung von digitalen Daten:

1. CAD – 3D-Druck in Wachs – Guss – Finish

Ein Schmuckstück wird digital erstellt. Anschliessend werden die Geometrien per 3D-Drucker in Wachs gedruckt. Dieser wird im herkömmlich Giessverfahren in sämtlichen giessbaren Metallen gegossen. Von Hand muss der Gussrohling anschliessend verputzt und veredelt werden.

  • Vorteile: Jede Geometrie ist druckbar, fast jede Geometrie ist giessbar, kostengünstiges Verfahren
  • Nachteile: Manuelle Nacharbeit ist immer notwendig, die Qualität des fertigen Schmuckstückes hängt stark von der Erfahrung des CAD-Zeichners ab, nicht möglich für nicht giessbare Materialien (Carbon, Titan, Tantal, Holz, Kunststoffe)
2. CAD – 3D-Direktdruck – Finish

Gleiche Vorarbeit wie beim ersten Workflow, jedoch wird die Geometrie direkt im Endmaterial gedruckt. 

  • Vorteile: Kein Giessprozess notwendig, grössere Materialvielfalt (Titan, Kunststoffe)
  • Nachteile: Manuelle Nacharbeit ist immer notwendig, die Qualität des fertigen Schmuckstückes hängt stark von der Erfahrung des CAD-Zeichners ab, kostenintensiv
3. CAD – CNC

Eine Geometrie wird CAD-modelliert und anschliessend aus Vollmaterial spanabhebend per CNC-Maschine gedreht oder gefräst.

  • Vorteile: perfekte Oberflächen, höchste Materialgüte, maximale Präzision, geringe Nacharbeit nötig
  • Nachteile: die Geometrievielfalt ist eingeschränkt, hohe Fremdkosten

Ein weiterer Nutzen der Digitalisierung bei administrativen Arbeiten ist, dass durchdachte Konfiguratoren eine direkte Kostenübersicht ermöglichen. Sie leisten daher einen erheblichen Mehrwert in der gesamten Offertenerstellung. Zudem hat der Betreiber eines Konfigurators meist das Interesse, angebotene Produkte auch herzustellen. Daher ist bei einer Bestellung ein grosser Teil der Auftragskoordination bereits erledigt. Weiter ist die Terminübersicht ein Vorteil in der Kommunikation mit dem Kunden. Hingegen bestehen die Grenzen und Gefahren der Digitalisierung im Verlust der Exklusivität.

Emotionaler Individualschmuck

Individualschmuck ist mit der emotionalen Geschichte des Trägers oder der Trägerin verbunden. Wird der Goldschmied aufgesucht, so kann man davon ausgehen, dass die eigene und persönliche Geschichte im gemeinsam zu erarbeitenden Schmuckstück Ausdruck finden will. In der Beratung sind daher ein weisses Blatt und Stift die treusten Begleiter, um Anliegen, Ideen und Konzepte aufzunehmen. Digitale Hilfsmittel dagegen enthalten stets eine eigene Logik mit vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten. Es ist daher wahrscheinlich, dass diesen individuellen Anliegen nicht per Klick in einem CAD-Programm oder per Konfigurator entsprochen werden kann.

Ein Kunde kann unter Umständen nicht zwischen einer digitalen Darstellung und einem Foto von einem physisch umgesetzten Schmuckstück unterscheiden. Was als Bild einer realen Umsetzung erscheint, ist in dessen Augen bereits „hergestellt“ und verliert daher den Status der Exklusivität. Eine handgefertigte Skizze, welche die konkreten Anliegen und Ideen aufnimmt, erscheint daher deutlich exklusiver als ein fotorealistischer Render (vom Computer errechnetes Bild) eines ausgeklügelten Stücks. 

Die Herstellung von Schmuck ist stets ein Vertrauensgeschäft. Dies versetzt die Goldschmiedin in eine besondere Stellung und kann ein eleganter Ausweg aus dem „CAD-Leerlauf“ sein. Denn Vertrauen lässt sich nicht digitalisieren. Versteht sich der Goldschmied selbst als künstlerischer Schaffer, und wird ihm diese Rolle auch vom Kunden zugeschrieben, so kann er sich auf das Vertrauensverhältnis berufen und dem Kunden selbstsicher zusichern, dass dessen Anliegen gebührend im persönlichen Schmuckstück Ausdruck finden wird. Vertrauen ist daher deutlich effizienter und exklusiver als digitale Möglichkeiten je sein werden.

Visualisierung als Hindernis

Viele Schmuckhersteller kennen die Situation, dass ein Kunde bei der Betrachtung einer Visualisierung sich das Endprodukt immer noch nicht vorstellen kann. Auch weitere drei Varianten verhelfen nicht zur nötigen Fantasie. Die Möglichkeit der digitalen, fotorealistischen Darstellung wird hier oft als Lösung angepriesen. Dem mag sicher in vielen Fällen auch so sein, doch einer Gefahr sollte man sich stets bewusst sein: Ein Bild wird im Moment der Betrachtung konsumiert und verliert seine Exklusivität. Dass die Erarbeitung dieses Bildes eventuell mit grossem Zeitaufwand verbunden war, hat vor diesem Hintergrund keine Bedeutung mehr. 

„Eine Idee mit wenigen Klicks zu Computer bringen, diese in Echtzeit dreidimensional drehen und wenden sowie nach Belieben anpassen, fotorealistische Bilder daraus erzeugen, dabei stets die Übersicht über die Kosten haben und so Leerlauf an der Werkbank vermeiden. Ist das Realität oder Utopie? Und was bringt diese Technik in der Herstellung von Individualschmuck?“ Daniel Locher

Das eine tun und das andere nicht lassen

Wer weiss was möglich ist, erkennt das Unmögliche. Zu wissen, wo welche Technologien sinnvoll einsetzbar sind, steigert die eigene Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Technische Hilfsmittel sind nur Mittel, die dem Schöpfer helfen, seine Kreativität in die Wirklichkeit umzusetzen. Wo sie diesen Zweck nicht mehr erfüllen, werden sie überfällig und unbrauchbar. Zukünftige Schmuckschaffende sind gut beraten, sämtliche digitale Möglichkeiten zu kennen und stets abzuwägen, ob die Faszination dafür oder der mögliche Nutzen eine intensivere Auseinandersetzung rechtfertigen. Daniel Locher

 

3D-Druck in Wachs zur Vorbereitung für den Direktguss.


3D-Druck in Wachs zur Vorbereitung für den Direktguss.

 

Der Konfigurator von locherservice.ch.


Der Konfigurator von locherservice.ch.

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