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Das Baby darf in neue Hände

Jahrzehntelange Berufung, Formen und Farben, Metalle und Haptik, Edelsteine, Menschen und Emotionen.

Jahrzehntelange Berufung, Formen und Farben, Metalle und Haptik, Edelsteine, Menschen und Emotionen: Es gibt so vieles, das einem nach Jahren des Unternehmertums ans Herz gewachsen ist. Die Goldschmitte, Bijouterie oder Chronometrie ist zum eigenen Leben geworden. Sein Lebenswerk aus der Hand zu geben braucht Zeit, Analyse und eine gesunde Distanz.

Noch nie standen so viele Unternehmen des Uhren- und Schmuck-Detailhandels vor einer Ablösung. Gleichzeitig stehen viele Einzelfirmen zum Verkauf, deren Inhaber ohne obligatorisches BVG einen grossen Teil ihrer Vorsorge im Geschäft sehen. Rund die Hälfte aller Besitzerinnen und Inhaber werden in zehn Jahren im Pensionsalter sein. Dies bringt eine neue Dichte an angebotenen Firmen. Es wird wichtiger denn je, einen Übernahmepreis sinnvoll im Markt- und Konkurrenzumfeld einzubetten. Firmenwerte sollten sich immer am zukünftigen Potenzial orientieren und nie an der Vorstellung, welche finanziellen Löcher vorsorgetechnisch noch zu stopfen sind.

Das Lebenswerk

Start in die Selbständigkeit mit 30, zehn Jahre intensiver Aufbau, weitere fünfzehn Jahre Wachstum oder Konsolidierung und bereits kommt der Gedanke, wer das Lebenswerk einmal weiterführen wird. Ab 55 mit der Planung seiner Nachfolgelösung zu beginnen, scheint für manche sehr früh. Sind neben personellen Fragen allerdings noch Lagergrössen, stille Reserven oder Profilfaktoren zu optimieren, kann sich eine Dekade bereits als kurz erweisen. Lebenswerke sind oft organisch gewachsen und nicht immer einer klaren Strategie gefolgt. Entsprechend persönlich können solche Firmen geprägt sein. Manchmal punkto Sortimentsstrategie einzigartig, bisweilen organisatorisch ungewöhnlich und nicht selten dem Charakter der Führungspersönlichkeit geschuldet. Eine Nachfolge zu ermöglichen bedeutet dann, den Betrieb unabhängiger zu machen. Unabhängig von prägenden Charakterköpfen, aber auch losgelöst von finanziellen oder vertraglichen Verstrickungen. Das Baby ist reifer geworden. Es hat eine erkennbare Prägung erfahren und ist quasi auf dem Weg in die Pubertät. Der Prozess, seine Goldschmiede oder Bijouterie für die nächste Generation bereit zu machen, bedeutet Ablösung, Neuformierung und bedarf einer gewissen emotionalen Distanz. Viele empfinden dies als ersten Schritt des Aufhörens. Sprechen Sie aber nie von Aufhören, unterhalten Sie sich besser über Ihre Nachfolge. Wenn Sie beispielsweise 60 geworden sind, macht Geheimniskrämerei wenig Sinn. Sie werden ohnehin demnächst von Ihrer Kundschaft darauf angesprochen, ob Ihre Nachfolgeplanung gesichert sei oder wie lange Sie denn noch arbeiten wollen. Aktiv darüber zu reden, signalisiert hingegen, dass Sie sich um die Zukunft Ihrer Kundschaft kümmern. Zudem erhöht es die Chance, dass junge Gestalterinnen oder filialorientierte Mitbewerber aufmerksam werden.

Die Wertfaktoren

Unternehmenswerte basieren auf Substanz und Ertrag. Dabei sind Firmen mit relativ tiefer Substanz und hohem Ertrag interessant, sofern sie punkto Lager, Auftrittsprofil und Kapital nicht ausgeblutet sind. In der Praxis sind dies Geschäfte mit zeitgemässem Lager, mit ansprechendem Lohnvolumen, Kommunikationskraft und Einkauf, deren Gewinn gesunde Amortisation und Refinanzierung erlaubt. Wer eine Schmuck- oder Uhrenfirma im Schweizer Detailhandel kauft, braucht Sicherheit, dass sein Zukunftsbudget Hand und Fuss hat. Je leichter die Firma und je zahlreicher verlässlich interpretierbare Erfolgsrechnungen sind, desto attraktiver können Sie als Verkäufer das Angebot schnüren. Damit Sie dem Bedürfnis der Käuferinnenseite gerecht werden, wollen Sie Ihren Betrieb in ein gutes Licht stellen. Und damit dies authentisch, fair und künftig tragbar wird, sollten Sie Ihre Firma mit Weitsicht auf Verkauf trimmen. Dafür ist es nie zu früh. Denn ein attraktiver, verkäuflicher Betrieb ist fast immer auch rentabler, schlanker und agiler. Lagerwerte werden in dieser Phase sehr wichtig. Und die eigene Betriebssicht macht hier leider jeden etwas blinder als er ist. Lassen Sie sich dabei unterstützen, wenn der meist grösste Brocken im Unternehmen bewertet werden soll. Prüfen Sie, ob der bereinigte Lagerumschlag für Schmuck bei mindestens 0.5 und für Uhren bei mindestens 1.0 liegt. Tiefere Umschläge können strategisch gute Gründe haben, tragen in der Regel aber nicht zur Verkäuflichkeit des Betriebs bei. Stellen Sie zudem sicher, dass die stillen Reserven nicht allzu hoch sind und später für Nachfolgende aufgeschobene Steuerlasten auslösen.

Die Umsetzung

Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, einen Unternehmenswert zu ermitteln. Entscheidend ist weniger der Weg, als vielmehr der Abgleich mit der Realität in der Branche. Bewertungen aus steuerlicher Sicht können der Erfahrung nach oft recht hoch ausfallen. Rein zahlenbasiert blenden sie emotionale Faktoren wie Image, Übertragbarkeit oder Bindung zu den Marktpartnern in der Regel aus. Ob ein Preis verhältnismässig angesetzt ist, zeigt sich nicht selten bei der Finanzierung. Banken zeigen heute leider wenig Bereitschaft, selbst rentablen Schmuck- und Uhrengeschäften die Übernahme zu finanzieren. Private Darlehen funktionieren als Alternative aber oft gut – sei es aus Familie, Verwandtschaft oder im Sinne eines Verkäuferdarlehens. Lässt ein Verkäufer ein Darlehen stehen, wird wiederum die Chance besser, dass doch eine Bank mitzieht – weil der Vorgänger oder die Verkäuferin damit signalisiert, dass sie an den zukünftigen Erfolg der jungen Garde glaubt.

Wo sind die Nachfolger?

Wir haben das Glück, dass der Reigen interessanter Zielgruppen grösser geworden ist. Waren vor Jahrzehnten nur ungebundene, kapitalkräftige Profis im Blickfeld der Firmenverkäufer, akzeptiert die Gesellschaft heute ganz andere Modelle. Halten Sie die Augen offen nach Frauen, die nach der Mutterschaftspause neue Ziele haben. Sprechen Sie beispielsweise schmuckaffine Grafiker, Designstudenten oder Lehrerinnen an. Oft sind sie unvoreingenommen und haben eine tiefe Hemmschwelle, Strategien neu zu denken. Insbesondere Bijouterien mit bestehendem, allenfalls vergrösserbarem Handelsanteil können erfolgreich umpositioniert werden. Manchmal finden sich Nachfolgende aber näher, als gedacht. So haben schon ehemalige Kundinnen, frühere Mitarbeiter oder Mitbewerberinnen interessante Betriebe in eine neue Ära geführt. Sprechen Sie fähige Menschen darauf an und motivieren Sie diese für flexible Lösungen wie Teilzeit, Jobteilen, Angebots-Kombinationen mit ergänzendem Handwerk, Designprodukten oder ähnlichem. Zu oft erwarten aktuelle Inhaber Nachfolgekandidaten mit Goldschmiedelehre. Und blenden dabei aus, dass über ein neues Team und allenfalls angepasstes Angebot auch eine neue Authentizität entsteht.

„Je leichter die Firma und je zahlreicher verlässlich interpretierbare Erfolgsrechnungen sind, desto attraktiver können Sie als Verkäufer das Angebot schnüren.“

Nachfolgerinnen fördern

Bieten Sie motivierten Jungen Learning-on-the-Job in Ihrem Betrieb an. Der Umstand, dass viele Nachfolgen aus den Reihen des Bekanntenkreises entstehen, gibt dieser Haltung Schub. Fördern Sie deshalb die Weitergabe Ihres Wissens an Lernende, aber auch bewusst und aktiv an Fachleute zwischen 20 und 40 Jahren. Grössere Betriebe, insbesondere Filialisten, tun dies aus strategischen Überlegungen bereits seit Jahren. Lernfelder sind dort fachlich recht spezifisch abgegrenzt, da eigentliche Fachabteilungen vorhanden sind. Kleinere haben zwar weniger Ressourcen, können aber an einer einzigen Stelle ein breiteres Erfahrungsspektrum weitergeben. Dies geht bis zur Entlastung der Geschäftsleitung und startet bei ebenso wichtigen Basisaufgaben. Wo die Kompetenz im eigenen Hause fehlt, können Sie externe Weiterbildung fördern. Falls Sie dies auch finanziell unterstützen, ist eine Verpflichtung über die Ausbildung hinaus fair und ermöglicht gleichzeitig Nachfolgeoptionen. Informieren Sie sich bei Fabrefactum, dem VSGU, der Asmebi und fachübergreifenden Anbietern, wie Wissen noch ergänzt werden könnte. Christoph Brack

 

 

Persönlich einbringen

Niemand kennt einen Betrieb besser, als die langjährige Führungskraft. Und niemand kennt die Zukunft besser, als junge Enthusiasten. Damit der ungestüme Tatendrang der Himmelsstürmer nicht nur Wolken als Baugrund vorfindet, ist es sinnvoll, internes Wissen zu transferieren. Loten Sie als Kennerin der eigenen Firma das neue Wissensspektrum aller Beteiligten aus. Delegieren Sie frühzeitig eigene Aufgaben im Sinne eines zukunftsorientierten Motivationsfaktors. Für eigentliche Führungsaufgaben wie Strategie, Profilbildung, Budgetierung oder Werbung kann gutgemeinte, fundierte Unterstützung sinnvoll sein. Haben Nachfolgende schon konkrete Wegweiser gestellt, braucht es hingegen das Signal, dass Sie das betreffende Feld zum definierten Zeitpunkt räumen. Bieten Sie sich aber einmal klar als Springerin, Ferienvertretung oder Aushilfe an. Und je niederschwelliger Sie Ihre Unterstützungsbereitschaft im Laufe der Übergabe wiederholen, desto länger hat eine allfällige Synergie tendenziell Bestand.

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